Wenn Steine schreien

An der Südwestecke der Außenmauer unserer Januariuskirche befindet sich ein Sandsteinquader, auf dessen Westfläche in alter Schrift Jahreszahlen mit präzisierenden Beischriften eingemeißelt sind. Diese »Steinerne Chronik« berichtet von Schicksalsschlägen, die Erdmannhausen im 16. und 17. Jahrhundert trafen.

Wir lesen von zwei katastrophalen kriegerischen Auseinandersetzungen.

»1525 Bauernkrieg«: In diesem ersten Massenaufstand in der deutschen Geschichte wehrten sich die Bauern verzweifelt - unter Berufung auf das Evangelium - gegen die ihnen auferlegten Einschränkungen der persönlichen Freiheiten, die hohen Abgaben und Frondienste (Herrschaftsdienste). Auch Erdmannhäuser Bauern nahmen daran teil. Sie gehörten zu einem der Kampfverbände der Bauern, dem »Haufe« vom Bottwartal. Er hatte den angesehenen und besonnenen Großbottwarer Ratsherrn und Gastwirt Matern Feuerbacher zu seinem Hauptmann gewählt. Nach der vernichtenden Niederlage der württembergischen Bauernhaufen bei Böblingen im Mai 1525 wurden auch 17 Erdmannhäuser nach einer Turmhaft in Marbach vor Gericht gestellt. In den Prozessakten heißt es aber, sie »seyen all ungewolt uf wynnen-Stayner Berg [auf den Wunnenstein] zu den Bawren gezogen, wir wissen aber nichzet besonders das sie gehandelt haben [wir wissen aber nicht, dass sie etwas besonders Schweres verbrochen hätten].« So ging man verhältnismäßig gnädig mit ihnen um und verurteilte sie nur zu allerdings empfindlichen Geldstrafen.
»1634 NERLINGER SCHLACHT«: Nach dieser blutigsten des ganzen Dreißigjährigen Kriegs (1618-48) bei Nördlingen, bei der von 6000 Mann kämpfender württembergischer Miliz 4000 fielen, eroberten die kaiserlich-katholischen Truppen fast ganz Süddeutschland zurück, und das evangelische Bekenntnis war bedroht. Noch im selben Jahr trat die kaiserliche Soldateska im Amt Marbach brennend und mordend auf. 1635 lag sie auch in Erdmannhausen im Quartier. »Sie haben«, wie ein Bericht sagt, »mit Rauben, Plündern, unmäßigem Fressen und Saufen, Wegführung des Viehs und anderen Greueltaten auf schändliche Weise sich aufgeführt.«

Wir lesen weiter: »1517 HAGEL-IAR« und »1608 KALTER WINTER«. Man kann sich heutzutage kaum mehr vorstellen, was die manchmal völlige Vernichtung der Frucht auf den Feldern und der Trauben in den Weingärten durch Naturkatastrophen für die Dorfbewohner damals bedeutete!

Eine der gefürchtetsten Katastrophen, die über die Menschen hereinbrachen, war in jener Zeit die Pest, der »Schwarze Tod«, der die Bevölkerung dahinraffte. 1564 grassierte die Seuche in Württemberg nach einer mehrjährigen Teuerung infolge schlechter Ernten. Im Zeitraum 1584/1586 wütete sie erneut und befiel wellenartig verschiedene Gegenden des Herzogtums. (Vermutlich gehören »1564« und »STARBEN 170« zusammen und das kleinere »ANNO 1585« wurde erst nachträglich eingefügt). Auch »1626 STARBEN ALHIE 253«; das waren 40% der Einwohner! Im Frühjahr 1626 traten im Amt Marbach so starke Fröste auf, dass Weingärten und Felder erfroren und wegen anhaltender Nässe das Getreide litt. Die Preise für Wein und Brot stiegen stark und es herrschte eine allgemeine Hungersnot; die Menschen aßen sogar Gras und Distelnl Doch damit nicht genug: Ab Mai breitete sich wiederum die Pest aus, die erst nach Monaten mit dem Eintritt der kühlen Jahreszeit abklang. In ganz Württemberg mit seinen ca. 400 000 Einwohnern erlagen in jenem Jahr 26 000 Menschen dieser verheerenden Seuche.

Auf der Südseite der Ecke finden wir eingemeißelt: »Weltkrieg 1914-18« und »2. Weltkrieg 1939-45«. Dies können wir als Wegweiser zur Denkmalsanlage auf dem Friedhof verstehen, wo auf den Stelen die Namen der 189 Erdmannhäuser Gefallenen und Vermissten »ZUM BLEIBENDEN GEDÄCHTNIS« und »DEN LEBENDEN IM FRIEDEN ZUM MAHNENDEN VERMÄCHTNIS« aufgeführt sind.

Quelle: »Erdmannhäuser Geschichte und Geschichten«, Dieter Duill

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